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bürgerlich

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GrammatikAdjektiv · Komparativ: bürgerlicher · Superlativ: am bürgerlichsten
Aussprache  [ˈbʏʁgɐlɪç]
Worttrennung bür-ger-lich
Wortzerlegung Bürger -lich
Wortbildung  mit ›bürgerlich‹ als Erstglied: bürgerlich-liberal · Bürgerlichkeit  ·  mit ›bürgerlich‹ als Letztglied: altbürgerlich · antibürgerlich · frühbürgerlich · gutbürgerlich · linksbürgerlich · rechtsbürgerlich · spätbürgerlich · unbürgerlich · verbürgerlichen · vorbürgerlich
 ·  mit ›bürgerlich‹ als Grundform: Bürgerliche
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DWDS-Vollartikel

Bedeutungen

1.
Recht den Bürger und dessen Rechtsstellung betreffend
a)
den Bürger als Staatsbürger oder Einwohner betreffend, ihm zustehend
Kollokationen:
als Adjektivattribut: bürgerliche Rechte, Freiheiten
Beispiele:
Diese Diktatur [des Proletariats] zeichnete sich dadurch aus, dass sie keine bürgerliche Freiheiten, vor allem keine Meinungsfreiheit, zuließ, sondern die Meinung auf vielfältige Art und Weise manipulierte […]. Die Ruhe im Land wurde durch soziale Wohltaten erkauft, deren Finanzierung jenseits jeder Wirtschaftlichkeit lag. [Thüringer Allgemeine, 21.04.2010]
Es gibt bürgerliche Rechte, die wir auch bei Corona nicht ohne Not außer Kraft setzen dürfen. [Mittelbayerische, 23.01.2021]
Mit bürgerlichen Ehrenrechten wurde früher die Summe von Befugnissen und rechtlichen Eigenschaften bezeichnet, die die Ehre als Staatsbürger kennzeichnen. Dazu gehören u. a. Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Staats‑ und Gemeindeleben, Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, Fähigkeit zur Übernahme von Vormundschaften und Beistandschaften. [lexexakt, 05.02.2018, aufgerufen am 07.12.2020]
Die Hansestadt [Hamburg] offerierte ihren jüdischen Bewohnern am 21. Februar 1849 die bürgerliche Gleichstellung. Die Ausübung von öffentlichen Ämtern allerdings schloß das noch nicht ein. [Die Welt, 19.05.1999]
b)
die private Sphäre (der rechtlichen Gleichrangigkeit) im Gegensatz zur öffentlichen Sphäre (der rechtlichen Über- und Unterordnung) betreffend
Kollokationen:
als Adjektivattribut: das bürgerliche Recht; das Bürgerliche Gesetzbuch; der bürgerliche Name
Beispiele:
Das Schiedsamt ist eine außergerichtliche Gütestelle und führt das Schlichtungsverfahren in bürgerlichen Streitigkeiten und in Strafsachen durch. [Neue Westfälische, 18.08.2017]
Hallyday, dessen bürgerlicher Name Jean‑Philippe Smet lautet, hatte seine musikalische Laufbahn in den frühen Sechzigerjahren mit Schlagern begonnen, ehe er zur Rockmusik wechselte. [Der Spiegel, 06.12.2017 (online)]
Bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beziehungsweise ihrer kaufmännischen Variante, der offenen Handelsgesellschaft (OHG), haften die Gesellschafter gesamtschuldnerisch für Schulden der Gesellschaft. [Hamburger Abendblatt, 02.04.2011]
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) gilt bereits seit 1900 und regelt in seinen fünf Büchern große Bereiche des Privatrechts vom Erbfall bis zum Grundstückskauf. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.07.2001]
Die Amtsgerichte sind als unterste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozeß), für Strafsachen (Strafprozeß) und für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständig. [Berliner Zeitung, 28.12.1990]
2.
den Bürger und dessen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen o. ä. Stand betreffend
a)
dem ¹Bürgerstand angehörig, zuzurechnen
Kollokationen:
als Adjektivattribut: eine bürgerliche Familie
Beispiele:
»Meine Eltern waren nicht musisch«, erinnert sich Brendel, »aber es gab zu Hause einen Flügel, und ich bekam Klavierstunden, wie es sich für eine bürgerliche Familie gehört.« [Landshuter Zeitung, 05.01.2021]
Um die vorvergangene Jahrhundertwende war der Spiritismus eine Massenbewegung, in allen industrialisierten Ländern, vor allem in bürgerlichen Schichten, oft unter Frauen. [Süddeutsche Zeitung, 27.06.2020]
Zu den bürgerlichen Honoratioren einer Stadt wie Abensberg gehörten bis weit ins 20. Jahrhundert der Pfarrer, der Lehrer und der Doktor. [Mittelbayerische, 25.11.2016]
Rechtswissenschaft ist [in der DDR] ein machtnahes Fach, die bürgerlichen Vertreter wurden herausgedrängt, Kandidaten aus Arbeiter‑ und Bauerfamilien bevorzugt zum Studium zugelassen. [Süddeutsche Zeitung, 09.03.2009]
Der wohlerzogene Sproß bürgerlicher Eltern fiel im Städtchen Arendsee in der Altmark nie unangenehm auf. Er war ein guter Schüler, besuchte ordentlich gekämmt die Tanzstunde, begann eine kaufmännische Lehre. Doch dann schockte er plötzlich seine Umwelt. [Die Zeit, 03.05.1996]
b)
für das Bürgertum charakteristische Werte, Anschauungen darstellend, (politisch) vertretend, repräsentierend; für den ¹Bürgerstand kennzeichnend, typisch, repräsentativ
Häufig in der Politik, wo mit diesem Begriff in der Regel konservative oder liberale Parteien und Politiker o. Ä. bezeichnet werden. In der seit dem Untergang des osteuropäischen Sozialismus zunehmend weniger gepflegten marxistischen Terminologie charakterisiert(e) der Begriff den historischen Hauptgegner, was mit einer hinzutretenden Abwertung gelegentlich die Grenzen zur folgenden Lesart überschreitet.
Kollokationen:
als Adjektivattribut: die bürgerliche Gesellschaft, Demokratie, Regierung, Opposition, Mehrheit, Koalition; die bürgerlichen Parteien; das bürgerliche Lager; ein bürgerliches Leben; eine bürgerliche Existenz; die bürgerliche Revolution
als Adverbialbestimmung: bürgerlich geprägt, orientiert, dominiert
in Koordination: bürgerlich und liberal, konservativ, bäuerlich, sozialistisch
Beispiele:
Freiheit, Recht und Eigentum garantieren den Charakter einer bürgerlichen, liberalen Gesellschaft. [Die Welt, 10.12.2015]
Ein erster Höhepunkt ereignet sich gleich in der ersten Szene, wo Wozzeck dem Hauptmann mit einem lapidaren Satz klarmacht, dass es für ein Leben nach den Massstäben der bürgerlichen Moral zuallererst eines braucht: Geld. [Neue Zürcher Zeitung, 11.08.2017]
Man geriert sich bürgerlicher als vielleicht noch vor einigen Jahren, geht zu Ausstellungen, sitzt nicht im Unterhemd am Frühstückstisch, legt wieder mehr Wert auf Manieren, gründet vielleicht auch eine Privatschule, weil die staatlichen Schulen zu schlecht sind. [Die Zeit, 20.07.2006]
Nach alter Manier serviert er den Besuchern jetzt wieder gut bürgerliche Küche mit einer großen Auswahl an Fleisch‑ und Fischgerichten. [Rhein-Zeitung, 10.11.2005]
Das Wahlergebnis [in Schweden] ließe eine bürgerliche Mehrheit aus Zentrum, der konservativen Sammlungspartei, die mit 18,5 nach 21 Prozent und 40 (46) Sitzen größter Verlierer war, und einer von zwei weiteren bürgerlichen Parteien, den Christlichen Demokraten mit sieben Sitzen oder der liberalen Schwedischen Volkspartei mit acht Mandaten, zu. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.03.2003]
Die bürgerliche Wohnung als Refugium und Darstellungsraum des vor mancherlei gesellschaftlichen Zumutungen reprivatisierten Geschmacks schafft eine typisierte »Produktpalette« zwischen rundem Tisch, Kommode, Glasvitrine, Klappspiegel, Nähtisch, Wanduhr, Vogelbauer, Sammeltasse, Tischfeuerzeug, Spucknapf und Stiefelknecht. [Die Zeit, 13.01.1989]
Unter den gegenwärtigen Bedingungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus sind selbst bürgerliche Ökonomen gezwungen, die von Marx entdeckten Bewegungsgesetze des Kapitalismus zu studieren. Sie hoffen damit, die Entwicklungsprobleme der modernen Produktivkräfte zu meistern, wofür ihre eigene unwissenschaftliche Wirtschaftstheorie nicht brauchbar ist. [Berliner Zeitung, 15.09.1967]
Es war Marx, der die beiden Widersprüche der klassischen bürgerlichen Ökonomie überwand, indem er erstens die klassische Ökonomie als Wissenschaft vollendete, indem er die offengebliebenen Probleme löste, aber zweitens aus der bürgerlichen die proletarische Ökonomie machte. [Neues Deutschland, 17.07.1953]
c)
abwertend für den als überkommen, einengend oder verachtenswert aufgefassten ¹Bürgerstand typisch   altmodisch, zugeknöpft, spießerhaft, sinnentleert
Beispiele:
Er wollte raus aus der bürgerlichen Enge seines Elternhauses, um als Matrose auf See hinauszufahren und die Welt zu sehen. [Hamburger Abendblatt, 27.08.2016]
Böse Menschen sehen das Münchner Rathaus immer schon als den Inbegriff bürgerlicher Spießigkeit: schwere Eichentüren und holzgetäfelte Säle, in denen nur selten geistige und rhetorische Brillanz hause. [Süddeutsche Zeitung, 02.05.2014]
Über Weihnachten (für jeden echten Achtundsechziger der Gipfel bürgerlicher Verlogenheit) fährt dieser Raskolnikow nach Hause zur Mutter in die hessische Provinz, brummt die alten Lieder mit, spielt mit Schulfreunden Monopoly. [Neue Zürcher Zeitung, 11.01.2005]
In unserem Jahrhundert sind zahlreiche Sprichwort‑ Parodien entstanden, die die Ablehnung der als »typisch bürgerlich« betrachteten Wertschätzung der Arbeit beinhalten: »Arbeit adelt – wir bleiben bürgerlich«; »Arbeit ist aller Laster Anfang«; »Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt«; »Arbeit macht Spaß, und Spaß wird nicht gemacht«; »Arbeit ist Silber, Nichtstun ist Gold«. [Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Berlin: Directmedia 2000 [1994]]

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Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)

Etymologie

Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)
Bürger · bürgerlich · Bürgerschaft · Bürgertum · Bürgermeister · Großbürger
Bürger m. ‘Bewohner einer Stadt, Angehöriger eines Staates’, ahd. burgāri, burgeri (9. Jh.), mhd. burgære, burger ‘Bewohner einer Burg, einer Stadt’. Mnl. borgher, burgher, nl. burger und vielleicht auch mnd. börger(e) sind Entlehnungen aus dem Hd. Gleichbed. aengl. burgwaran, -ware, -waras (Plur.) legt nahe, daß es sich auch bei der dt. Bildung ursprünglich um ein Kompositum handelt. Aengl. -waran, -ware, -waras (auch in ceasterwaran, -ware, einem Synonym von burgwaran), anord. -veri, Plur. -verjar (in skipverjar ‘Schiffsleute, Schiffsbesatzung’) gehören als Nomina agentis zu der unter wehren (s. d.) dargestellten Wortgruppe. Die Kompositionsglieder erscheinen auch in Eigennamen, vgl. aengl. Rōmware, -waran, anord. Rōmverjar ‘Römer’ und die in latinisierter Form bei antiken Schriftstellern überlieferten germ. Volksnamen wie Ampsivāriī (eigentlich ‘Emsanwohner’), Baiovāriī (Plur.). In ahd. Zusammensetzungen fällt ein w im Anlaut des zweiten Teils oft aus, dadurch ist Übergang zu den häufigen Suffixbildungen auf ahd. -āri, -eri (nhd. -er) möglich. Die Ausgangsbedeutung von Bürger wäre danach ‘Burgverteidiger’, daraus entwickelt sich ‘Bewohner einer Burg, einer Stadt, eines Staates’. Im Zusammenhang mit der Herausbildung der deutschen Städteverfassungen im 11./12. Jh. bezeichnet Bürger das freie, vollberechtigte Mitglied einer Stadtgemeinde. Mit der Entwicklung des Bürgertums als einer durch Besitz ausgezeichneten Gesellschaftsschicht wird Bürger (im Sinne von lat. cīvis) zum Staatsbürger (s. d.). Sofern Bürger (oder Großbürger, s. unten) ausdrücklich Bezeichnung des ‘Besitzbürgers’, zumal des Besitzers an Produktionsmitteln ist, wird es seit dem 19. Jh. vielfach durch Bourgeois (s. d.) verdrängt. – bürgerlich Adj. ‘den Staatsbürger betreffend, dem Bürgertum zugehörig, verpflichtet, seiner Weltanschauung verhaftet’, spätmhd. burgerlich, mnd. börgerlīk, Suffixbildung zum Substantiv, dem es in zahlreichen Verwendungen folgt, vgl. im rechtssprachlichen Bereich bürgerliches Recht für lat. iūs cīvīle. Bürgerschaft f. ‘Gesamtheit der Bürger’, mhd. burgerschaft, auch ‘Bürgerrecht’, mnd. börgerschop, auch ‘Abgabe für die Erlangung des Bürgerrechts’. Auf das Nd. bzw. Nordd. beschränkt ist die Verwendung ‘Bürgerausschuß, Stadtparlament’. Bürgertum n. ‘Bourgeoisie, Gesamtheit der Bürger, Mittelstand, Mittelschicht’ (Ende 18. Jh.), s. auch Bourgeoisie. Bürgermeister m. ‘Vorsitzender einer Gemeinde-, Stadtverwaltung’, mhd. burgermeister neben burgemeister, Zusammensetzung aus burger und meister. Burgemeister, Bürgemeister (noch mundartlich) ist wohl dissimilierte Form, kaum Kompositum mit dem alten Genitiv Sing. von Burg (mhd. burge) als Bestimmungswort. Mit Bürgermeister setzt sich im Nhd. die von Luther bevorzugte Form durch. Großbürger m. ‘mit besonderen Privilegien, mit bestimmtem Besitz ausgestatteter Stadtbewohner’ (17. Jh.; in Preußen, d. h. im Ordensgebiet, älter), dann allgemein ‘Besitzbürger, Bourgeois’; s. auch Kleinbürger.

Bedeutungsverwandte Ausdrücke

bürgerlich · nicht adelig · unadelig · unedelig · von niedrigem Rang · von niedrigem Stand

Typische Verbindungen zu ›bürgerlich‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›bürgerlich‹.

Zitationshilfe
„bürgerlich“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/b%C3%BCrgerlich>.

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