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Etymologisches Wörterbuch des Deutschen

Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)

Reich, …

Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)
Reich n. ‘Herrschaftsgebiet (eines Kaisers, Königs), Staat, Imperium’, übertragen ‘Bereich’. Für das gemeingerm. Substantiv ahd. rīhhi ‘Herrschaft, Reich, Gegend, Landschaft, Umgebung, Bereich, Himmelsrichtung’ (8. Jh.), mhd. rīch(e) ‘Herrschaft, beherrschtes Land, Reich, Regierung’, asächs. anord. rīki ‘Reich, Herrschaft, Macht’, mnd. mnl. rīke, nl. rijk ‘Reich, Staat’, afries. rīk(e), aengl. rīce (erhalten in engl. bishopric ‘Bistum’), schwed. rike, got. reiki ‘Reich, Herrschaft, Obrigkeit’ wird (wie für got. reiks, aengl. rīca ‘Herrscher’ und das Adjektiv reich, s. d.) Herkunft aus dem Kelt. angenommen. In diesem Falle ist germ. *rīkja- ‘Herrschaft’ entweder als direkte Entlehnung (vor der germ. Lautverschiebung mit germ. k aus g) aus kelt. *rīgiom (ie. *rēg̑i̯om; vgl. mir. rīge ‘Königsherrschaft’ und Ortsnamen wie Icorigium) oder als ja-Bildung zu germ. *rīk- ‘Herrscher, Obrigkeit’ (vgl. got. reiks, s. oben) aufzufassen, das seinerseits aus kelt. *rīgs (ie. *rēg̑s, lat. rēx ‘König’; vgl. air. , Genitiv rīg) stammt. Auszugehen ist (bei kelt. ī aus ie. ē) von der unter recht (s. d.) angeführten Wurzel ie. *reg̑- ‘gerade, geraderichten, lenken, recken, strecken, aufrichten’. Auf den Zusammenhang der Übernahme des Wortes als Herrschertitel und als Bestandteil von Personennamen aus dem Kelt. deutet de Vries Nl. 576 hin. Er verweist auf die zahlreichen (zunächst latinisiert überlieferten) germ. Namen wie Theuderīcus (nhd. Dietrich), Ermanarīcus, Childericus nach dem Vorbild gall. Namen wie (in lat. Überlieferung) Vercingetorīx, Dumnorīx. Echt germ. Bildungen zur oben genannten Wurzel liegen vor in anord. -rekr, -reki ‘Herrscher, Fürst’ in den Zusammensetzungen folkrekr, landreki und in Personennamen (Gautrekr). Dagegen lehnt Trier in: Nachr. d. Akad. d. Wiss. Göttingen, Phil.-hist. Kl. (1943) 535 ff. eine Entlehnung vor der germ. Lautverschiebung ab und meint, daß das g der kelt. Formen durch Anlehnung an eine im Germ. bestehende Wortsippe der „Zaun- und Hege“-Basis (*rīk-) zu k geworden und eine Bedeutung ‘Macht, Herrschaft’ aus dem Begriff der ‘Einhegung’ hervorgegangen sei. v. Polenz in: ZfdPh 76 (1957) 80 ff. weist kelt. Herkunft der Wortgruppe ab. Er macht geltend, daß Reich von ahd. Zeit an bis ins 19. Jh. nicht auf ‘Macht’ und ‘Herrschaft’ beschränkt sei, es stehe in vornehmlich unpolitischer Verwendung als allgemeine Raumbezeichnung im Sinne von ‘Bereich’, bezeichne also ‘Landschaft, Gegend, Umgebung, Bereich, Himmelsrichtung’, vgl. ahd. erdrīhhi ‘das Reich auf Erden, Erdreich, -oberfläche, -boden’ (um 800), woroltrīhhi ‘Welt(reich)’ (9. Jh.), himilrīhhi ‘Himmelreich’ (9. Jh.), ōstarrīhhi ‘Morgenland, Orient’ (8. Jh.). Zugrundeliegendes germ. *rīkja- ‘Bereich’ stelle sich danach als ablautende Bildung zu dem unter reichen (s. d.) behandelten westgerm. jan-Verb, das selbst, zur Ablautstufe germ. *raik- gebildet, zur Wurzel ie. *rēig̑- ‘recken, ausstrecken’ gehöre. Die Bedeutung ‘Macht, Herrschaft’ sei aus ‘Bereich, räumliche Erstreckung’ hervorgegangen, eine Entwicklung, die semantisch (auch angesichts der genannten Beispiele und der gesamten zu Reich gehörenden Wortgruppe, s. reich) wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. – Reichstag m. (zuerst Worms 1495) Versammlung der deutschen Reichsstände (bis 1806), danach das Parlament des Norddeutschen Bundes bzw. Deutschen Reiches. Pflanzenreich n. ‘(geordneter) Bereich, Gesamtheit der Pflanzen in ihrer Verschiedenartigkeit’, Tierreich n. ‘(geordneter) Bereich, Gesamtheit der Tiere in ihrer Verschiedenartigkeit’ (beide 18. Jh.), Übersetzungen der in der lat. Wissenschaftssprache entwickelten Fügungen botan.-lat. regnum plantarum und zoolog.-lat. regnum animalium.
Zitationshilfe
„Reich“, in: Wolfgang Pfeifer et al., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1993), digitalisierte und von Wolfgang Pfeifer überarbeitete Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/etymwb/Reich>.

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